02/07/2024 0 Kommentare
Zu Besuch in einer Freikirche und warum es sich gelohnt hat
Zu Besuch in einer Freikirche und warum es sich gelohnt hat
# Spirituelles
Zu Besuch in einer Freikirche und warum es sich gelohnt hat
(Vorbemerkung: Es gibt die unterschiedlichsten Freikirchen und Freikirche ist nicht gleich Freikirche. Ich war zu Besuch bei https://lifeberlin.org)
An meinem freien Sonntag im November besuchte ich auf Einladung einer Bekannten eine Freikirche. Meine Erfahrungen sind gemischt, aber insgesamt bereichernd.
Unscheinbar
Ich nähere mich der Adresse in Moabit, fünf Minuten vor Beginn um 10:30. Von einer Kirche weit und breit keine Spur. Vor einem Hauseingang stehen ein paar junge Menschen und unterhalten sich. Sie sind gut gelaunt. Ich schätze so Anfang 30. Auf einem gelben Werbesegel auf dem Bürgersteig steht „Life Berlin“. Ich schließe mein Rad ab und gehe hinein. Mein Weg führt in einen Hinterhof. Im Erdgeschoss einer Tanzschule toben knapp 10 Kinder. Ich schaue hinein. Ein fröhlicher Mensch begrüßt mich. Er trägt eine Wollmütze, auf der ein Logo eingewoben ist: „Life Berlin“. Wow, nettes Merchandising. Wir stellen uns gegenseitig vor. Ich bleibe erst mal inkognito, was meinen Beruf an geht. Ein wenig neidisch bin ich schon. So viele Kinder, die parallel zum Sonntagsgottesdienst da sind und einen ausgedehnten Kindergottesdienst feiern. „Der Gottesdienst findet eins weiter oben statt.“ Gut. Oben angekommen husche ich an einer kleinen Menschentraube – alle in den 30ern – vorbei in einen freundlichen, hellen Raum hinein. Große Fensterfront mit Blick in den Hinterhof. Nicht die Spur eines Altars, nicht die Spur einer Orgel – ich vermisse an der Stelle ehrlich gesagt beides nicht. Auch kein Kreuz, keine Taufschale. In einer Ecke sehe ich Brot und kleine Kelche mit Saft. Verstehe, es gibt Abendmahl.
Mit einem Kaffee im Gottesdienst
Ich werde schnell als Neuling ausgemacht. Es ist hier nicht möglich, unauffällig einzutreten. Eine junge Frau spricht mich an. Ob ich einen Kaffee möchte. Den darf ich ohne Probleme mit in den Gottesdienst nehmen. Das köstliche Getränk bekomme ich in einem Nebenraum, der zum Beine hochlegen einlädt. Ein kurzes Gespräch, ich oute mich ihr gegenüber als Pfarrer und stelle meine Fragen: Warum geht sie hierher statt in die Landeskirche? Wie gelingt es, die Zielgruppe 20-40 anzusprechen? Doch nun werden wir reingerufen, der Gottesdienst beginnt.
Ich suche einen Platz. Auf den Stühlen liegen Umschläge. Darin steht, wie ich spenden kann. Außerdem kann ich meine Daten hinterlassen mit der Bitte darum, kontaktiert zu werden. Ein kleines Lesezeichen für meinen persönlichen Dank und eins für Gebetsanliegen. I like. Professionell gemacht, wirkt alles sehr freundlich und unaufdringlich.
Moderne Musik, moderne Predigt
Inzwischen ist meine Bekannte angekommen. Wir begrüßen uns. Es geht gleich los. Eine Gitarristin und jemand am E-Piano begrüßen die Gemeinde freundlich und leiten das erste Lied an. Wer mag, steht beim Singen. Ich mag. Wow, die Sängerin ist gut. Die Musik geht gleich ins Ohr. Könnte auch etwas aus dem Radio sein. Ok, nach dem zweiten Lied ist schon Schluss. Das kenne ich aus Freikirchen sonst anders. Die leger gekleidete Pastorin, etwa 40, betritt die Bühne, die aus einem mobilen, faltbaren Podest besteht. Hut ab, eine insgesamt gute Predigt. Rund eine halbe Stunde spricht sie. Es fällt mir leicht, ihr zuzuhören. Wie macht sie das nur? Eine moderne, lockere Sprache, immer wieder der Einsatz des Beamers, der die wichtigsten Thesen und konkrete Fragen an die Wand wirft. Gemeindeglieder zücken ihr Handy und fotografieren die Fragen ab. Immer wieder fühle ich mich durch das „Du“ der Predigt angesprochen. Es ist darin etwas Drängendes, etwas Dringliches. Ich merke, es ist ernst gemeint. Große Teile der Message erreichen mich. Ich spüre viele Resonanzen. Es ist eine Themenpredigt. Ich höre von Selbstbeschränkung, Selbstzurücknahme, Entschleunigung, Mäßigung. Die Predigt werde ungemütlich, warnte die Pastorin zu Beginn mit einem leichten Augenzwinkern. Tatsächlich, denke ich. Was knalle ich meinen Tag voll. Wie wenig Pausen sehe ich für mich selbst vor. Immer optimieren, immer konsumieren, immer funktionieren. „Du gefährdest das Potenzial, das Gott für Dich vorgesehen hat.“ Diesen Satz merke ich mir für meine eigenen Predigten. Es kommt sehr viel. Ich merke, dass ich mehr Zeit brauche, um die vielen Infos und Anregungen sacken zu lassen, aber die Zeit bekomme ich nicht. Schnell geht es weiter in der Argumentationskette. Dann kommt der Bibeltext. Galater 5,16ff. Die Früchte des Fleisches und die Früchte des Geistes. Uff, mir fehlt die Fokussierung auf ein Thema, auf einen Begriff, auf eine Richtung.
Vom Teufel und von verlorenen Seelen
Während ich versuche, mitzukommen, fallen die Begriffe, die ich heimlich befürchtet habe: der Teufel. Der Teufel kommt ins Spiel und spielt eine erst mal nicht näher bestimmte Rolle. An Details erinnere ich mich nicht mehr, weil ich an dieser Stelle etwas rauskomme. Natürlich, denke ich, der Teufel. Jetzt fällt mir wieder ein: Du bist in einer Freikirche. Gott bewahre, der Teufel ist natürlich kein Fremder in landeskirchlichen Predigten. Aber nicht wirklich als Gefährder des Seelenheils. Eher eine Figur zur ästhetischen Darstellung bestimmter Inhalte, meist pädagogischer Natur. Hier hingegen hat er Substanz. Nein, versichert mir die Stimme von vorne. Bei diesem Thema ist das Seelenheil nicht gefährdet. Es geht hier nur um die Nähe, die ich zu Jesus annehmen kann. Denn oberstes Ziel muss sein, Jesus immer ähnlicher zu werden. Gut. Das Seelenheil ist nicht gefährdet. Moment, das bedeutet doch auf der anderen Seite, dass es eben Themen gibt, bei denen das Seelenheil gefährdet ist!?
Meine Vermutung: die Bibel gilt hier mehr oder weniger als verbalinspiriert – ich versäume, dies zu erfragen. Die biblischen Geschichten werden recht plastisch vorgestellt. Warum lassen sich moderne, junge Berliner:innen von solcher Hermeneutik ansprechen? Ich kann mir das nur so erklären, dass hier gute Beziehungsarbeit geleistet wird und dass Menschen nun mal ein hohes Bedürfnis nach klaren Antworten und Ansagen haben. In der Landeskirche hören sie immer nur „das kann man so sehen oder so“, sogenanntes Wischi-Waschi. Ja, denke ich. Differenziert und kritisch zu denken ist halt anstrengend. Hier hingegen wird der eine, konkrete und korrekte Weg gewiesen.
Der Predigt folgt ein etwa 10minütiges Interview mit einem Gemeindeglied zum Thema. Das größte Problem des jungen Mannes scheint seine YouTube-Sucht zu sein, wie er sagt. Er schaut gerne Basketballspiele. Ok, wenn die Probleme der Gemeindeglieder solcher Art sind, dann würde ich das alles gerne näher kennenlernen.
Es folgen ein paar Infos, ein Gebet, das Abendmahl – ich bekomme erst den Saft, dann das Brot, danach etwas Musik und Gesang, der Segen, das war’s. Wow, eineinhalb Stunden. Die Zeit verging schnell.
Im Gespräch mit der Pastorin
Meine Bekannte stellt mir die Pastorin vor. Sie erst etwas nervös ob meines Amtes. Wir führen ein schönes Gespräch. „Die Menschen haben Sehnsucht nach Gott“. So oder so ähnlich antwortet sie mir auf meine Frage, was die jungen Menschen sonntags so früh in einen Gottesdienst zieht. Wie Sie denn versorgt sei, frage ich. Auf 520 € Basis. Das Gehalt ihres Manner erlaubt das. Ok, da arbeitet jemand aus Berufung und Leidenschaft heraus. Respekt.
Die Gemeinde, erst vor vier Jahren gegründet, sei Mitglied im ACK, im Arbeitskreis christlicher Kirchen. Das ist erst mal ein gutes Zeichen. Sie sucht den Kontakt zur Landeskirche, möchte gerne eine echte Kirche für die eigenen Gottesdienste nutzen. Es stehen so viele leer herum. Klappt irgendwie nicht. Sie vermutet Konkurrenzdenken. Konkurrenz? Spielen wir nicht im gleichen Team? Das ist gewiss eine Frage, die unterschiedlich beantwortet wird.
Junge Leute wollen gute Beziehungen und moderne Gottesdienste. Dieser Gedanke prägt sich mir ein. Sie brauchen keine Orgel, kein Kyrie und Gloria. Sie brauchen gute Musik und etwas Deep Talk zu Themen, die für sie relevant sind. Dafür sind sie teilweise bereit, untragbare Denkvoraussetzungen wie die Verbalinspiration in Kauf zu nehmen – und sehr lange Predigten. Faszinierend.
Ich verabschiede mich, nehme noch ein paar Flyer mit und fahre gesegnet nach Hause. Mal sehen, ob ich für meine Gemeinde den ein oder anderen Impuls werde umsetzen können.
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