Predigt - Wie ein Kamel durch's Nadelöhr kommt

Predigt - Wie ein Kamel durch's Nadelöhr kommt

Predigt - Wie ein Kamel durch's Nadelöhr kommt

# Spirituelles

Predigt - Wie ein Kamel durch's Nadelöhr kommt

Die Predigt hielt Superintendent Florian Kunz zur Eröffnung der Herbstsynode am Fr. 14. Oktober 2022 in der Wichern-Kirche in Spandau.

Und als er hinausging auf den Weg, lief einer herbei, kniete vor ihm nieder und fragte ihn: Guter Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe? Aber Jesus sprach zu ihm: Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als der eine Gott. Du kennst die Gebote: »Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst niemanden berauben; du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren.« Er aber sprach zu ihm: Meister, das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf. Und Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb und sprach zu ihm: Eines fehlt dir. Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm, folge mir nach! Er aber wurde betrübt über das Wort und ging traurig davon; denn er hatte viele Güter. Und Jesus sah um sich und sprach zu seinen Jüngern: Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen! Die Jünger aber entsetzten sich über seine Worte. Aber Jesus antwortete wiederum und sprach zu ihnen: Liebe Kinder, wie schwer ist’s, ins Reich Gottes zu kommen! Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme. Sie entsetzten sich aber noch viel mehr und sprachen untereinander: Wer kann dann selig werden? Jesus sah sie an und sprach: Bei den Menschen ist’s unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott.

Predigt Markus 10,17-27: Kamel und Nadelöhr

 

Liebe Gemeinde, 

 ie geht ein Kamel durch ein Nadelöhr? 

Fängt man an einem Ohr an und arbeitet sich dann Stück für Stück weiter vor? Oder nimmt man den Schwanz, dreht die Fellspitze zwischen den Fingern bis ein feiner Faden entsteht, fädelt ihn durch das Öhr und dann heißt es sehr kräftig ziehen? 

„Nein“ sagen einige Bibelwissenschaftler. Das Kamel ist gar kein Kamel. Die Jünger haben sich verhört, Jesus meinte nicht das Höckertier (Kamelos), sondern ein Schiffstau (Kamilos). „Nein“ sagen andere Bibelwissenschaftler. Das Nadelöhr ist gar kein Nadelöhr. Bestimmt gab es in Jerusalem ein Tor, das so niedrig und schmal war, dass ein Kamel nur ohne Last und kniend hindurch kam. Und dieses enge Tor nannte man im Volksmund „Nadelöhr“. Ob die Jünger wussten, dass es in ihrer Heimat so ein Tor gab? Jedenfalls sind sie sehr entsetzt als Jesus sagt: Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme. Wer kann dann selig werden?erwidern sie ihm und sehen einem Mann nach. Eben stand er noch in ihrer Mitte. Sie wissen nicht wie er heißt. Traurig ist er von ihnen weggegangen, traurig, wie jemand der ganz nah dran war, fast am Ziel. Er war vor Jesus auf die Knie gefallen: „Was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?“ „Was soll ich tun?“ Diese Frage mit der alle Ethik beginnt. Jesus redet mit ihm über das Halten der Gebote. „Hab ich! Tue ich alles, von Jugend an!“ sagt der Mann. Er will es wirklich wissen, es richtigmachen. Jesus gewinnt ihn lieb, diesen Eifrigen, Wissbegierigen, 100 Prozentigen. Doch was Jeus ihm dann sagt, versetzt ihm einen herben Rückschlag in seinem Lauf:  Eines fehlt dir. Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm, folge mir nach! Da wird der Mann traurig, denn er hat viele Güter. Alles verkaufen und Jesus nachfolgen? Nein, das kann er nicht. Hat er ein Erbe angetreten und fühlt sich verpflichtet den elterlichen Betrieb weiterzuführen? Hat er Angestellte, die auf der Straße ständen, wenn er alles dichtmachte? Müsste er eine Familie zurücklassen, für die er zu Sorgen hat? Er schweigt darüber. Aber klar ist, er kann das nicht, was Jesus von ihm fordert. So nah dran war er, fast am Ziel. Doch diesen letzten Schritt kann er nicht machen, den Weg der Nachfolge kann er nicht gehen. Er tritt den Rückzug an.

Wie geht ein Kamel durch ein Nadelöhr? 

Im Februar des Jahres 1206 verschenkt ein Jüngling alles was er hat und noch mehr. Er entwendet sogar Geld und Waren aus dem Geschäft seines Vaters um sie an arme Leute zu verteilen. Da wird es dem Vater zu bunt. Der Sohn muss enterbt werden! Wutentbrannt zieht der alte Kaufmann Pietro Bernadone vor das bischöfliche Gericht zu Assisi. Francesco, sein Sohn wartet das Urteil nicht ab. Mit großer Geste wirft er dem Vater im Gerichtssaal alles Geld vor die Füße, das er bei sich trägt. Dann verschwindet er im Nebenraum. Doch nur für einen Moment, nach wenigen Minuten tritt er wieder in den Saal – splitternackt. Nicht einmal die Kleider, die er seinem Vater verdankt, will er noch haben. Und mit erhobener Stimme erklärt der Jüngling seinem erstarrten Publikum: „Bislang habe ich Pietro Bernadone meinen Vater genannt. Fortan aber will ich sagen:`Vater unser im Himmel´, nicht mehr: `mein Vater Pietro´. Da packt der alte Kaufmann voll Zorn und Schmerz die Kleider zusammen und geht davon. Er hat keinen Sohn mehr. Der Bischof aber breitet die Arme aus und hüllt den Jüngling in seinen Mantel. Zu unserer Beruhigung lässt uns eine spätere Version der Erzählung wissen, ganz nackt sei der Heilige doch nicht gewesen, einen kleinen Schurz habe er angehabt – einen härenen natürlich. Trotzdem: Skandal in Assisi! Ist die Legende um den reichen Jüngling Franziskus, der all seine Habe an die Armen verschenkt, das alternative Ende zu unserem Bibeltext. Heißt Nachfolge Askese üben und alle sozialen Bindungen radikal kappen? Hat Jesus es so gemeint? Wir Protestanten sind ja erstmal skeptisch bei solch extremen, ja geradezu menschenfeindlichen Entscheidungen. Der Ex-Bettelmönch Martin Luther ist uns da Vorbild mit seiner Abneigung von Askese als Weg zur Seligkeit und seiner Hochschätzung von Christsein im Alltag und im Beruf. Und so sehr mich Franz von Assisi und seine Liebe für alle Geschöpfe fasziniert, finde ich nicht, dass Armut einen Heiligenschein verdient. Sie macht Menschen nicht edler, sie macht sie kaputt. 

Wie geht ein Kamel durch ein Nadelöhr?

Hilde Domin dichtet:

Gewöhn dich nicht. Du darfst dich nicht gewöhnen. Eine Rose ist eine Rose. Aber ein Heim ist kein Heim. Sag dem Schoßhund Gegenstand ab der dich anwedelt aus den Schaufenstern. Er irrt. Du riechst nicht nach Bleiben. Ein Löffel ist besser als zwei. Häng ihn dir um den Hals, du darfst einen haben, denn mit der Hand schöpft sich das Heiße zu schwer. Es liefe der Zucker dir durch die Finger, wie der Trost, wie der Wunsch, an dem Tag da er dein wird. Du darfst einen Löffel haben, eine Rose, vielleicht ein Herz und, vielleicht, ein Grab.

„Mit leichtem Gepäck“ heißt dieses Gedicht. „Gewöhn dich nicht“ sagt Hilde Domin. Häng dein Herz nicht an Dinge, denn wir sind alle auf der Reise! Sagt sich so leicht und ist doch so schwer. Denn wir hängen an den Dingen, die uns umgeben. Meist geht es gar nicht um den materiellen Wert, sondern, die Erinnerungen die damit verbunden sind. „Einen Löffel, eine Rose, vielleicht ein Herz“. Mit leichtem Gepäck reisen, reduziert auf das Wesentliche, nicht bepackt wie ein Kamel mit großer Last, dass vor einem niedrigen Tor in die Knie gehen muss. Stattdessen “Simplify your life”, Downshifting, Aufräumen mit Marie Kondo, Tiny Houses. Große Trends unserer Zeit zur Reduktion, für ein einfaches Leben. Vielleicht auch Ausdruck einer spirituellen Sehnsucht? Platz gewinnen für das, was wirklich zählt? Das innere Kamel abladen? Die wahre Seligkeit gegen die vielen Habseligkeiten? So Nadelöhr-enggeführt scheinen mir das auch die falsche Alternativen zu sein. Vielleicht liegt die Pointe der biblischen Erzählung ja noch einmal woanders?

„Was soll ich tun?“ fragt der Mann Jesus. Doch Jesus sagt ihm schließlich nicht was er tun soll, sondern was er lassen soll. Und das ist viel schwerer. All deine Güter, materiell und immateriell, was du hast, was du kannst und leistest – lass es los, krall dich nicht daran fest. In der Gottesbeziehung hat das alles keinen Platz. Hier zählt nicht was du hast und tust, hier zählt nur, dass du bist. Das ist das Reich Gottes: Einfach sein dürfen vor ihm, liebgewonnen und umgeben von seiner Gnade, die mehr wärmt als der Mantel eines Bischofs den Franziskus. Das ist das seltsame am Nadelöhr … an diesem engsten Durchgang, den man sich denken kann, öffnet sich eine große Weite. Die Freiheit der Kinder Gottes. 

Wie geht ein Kamel durch ein Nadelöhr?

Vielleicht beschreibt das auch die Situation unserer  evangelischen Kirche? Wir tragen viel mit uns rum, sind immer noch eine reiche Institution und bis über beide Höcker bepackt mit Traditionen, Privilegien und manch amtskirchlichem Ballast. Ein schwerfälliges Tier, das sich auf neues ungesichertes Terrain wagen muss. Weniger Gepäck ist vielleicht nur eine Antwort. Auch uns stellt sich immer zuerst die Frage: „Was sollen wir tun?“ Das Lassen-können müssen wir üben. Nicht die Hände in den Schoß legen, aber eine gelassene Kirche werden. Denn das Entscheidende machen nicht wir, das Entscheidende hat ein anderer bereits getan.

Liebe Gemeinde, 

wie geht ein Kamel durch ein Nadelöhr? 

Ganz vorsichtig Huf um Huf hindurchfädeln und dem Kamel dabei gut zureden? Die Kooperation mit dem Tier ist bestimmt sehr wichtig. Hilft es das Kamel ein wenig einzufetten, damit es geschmeidiger wird? 

Wie geht ein Kamel durch ein Nadelöhr? Sie ahnen es bereits: Gar nicht! Wie man es auch dreht und wendet – das Kamel passt nicht durch, es geschickt einzufädeln … zwecklos. „Wer kann dann selig werden?“ fragen die Jünger und sehen in der Ferne dem Mann ohne Namen nach. Er könnte einer von ihnen sein, er könnte einer von uns sein – mit unseren Gütern und Lasten, mit unserem Haben- und Tun-müssen und unser Schwierigkeit loszulassen. Doch vielleicht ist die Geschichte noch nicht auserzählt. Die Geschichte vom reichen Mann, vom Kamel und dem Nadelöhr, von uns. 

Da fehlt noch ein Kapitel und das schreibt ein anderer. Wie sagt Jesus noch gleich? Bei den Menschen ist’s unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott.

Amen.



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