Predigt zum Thema "Seufzen"

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# Spirituelles

Predigt zum Thema "Seufzen"

Der Glaube kommt aus der Predigt. Deshalb findest Du im Bereich "Gemeinsam glauben" immer wieder Predigten.

Predigt über Römer 8,19-26: "Seufz!"

Superintendent Florian Kunz

Venedig ist die Stadt der Brücken – 400 gibt es davon. Die berühmteste ist bestimmt die Seufzerbrücke. 11 Meter lang, aus weißem Marmor und mit 20 Maskenköpfen verziert, spannt sie sich über den Rio di Pallazi. Paare, die sich die ewige Liebe erhoffen, sollen sich küssen, während sie bei Sonnenuntergang in einer Gondel die Seufzerbrücke durchfahren. Der Legende nach bleiben sie dann für immer zusammen. Ob das wirklich stimmt? Ihren Namen hat die Brücke jedenfalls nicht vom schmachtenden Seufzen der Verliebten, sondern den verzweifelten Tönen von Gefangenen. Die Brücke verbindet nämlich den Dogenpalast mit dem Gefängnis. Nach ihrem Prozess im Palast wurden die Verurteilten hier entlanggeführt. Durch die vergitterten Fenster der Brücke konnten sie einen letzten Blick auf die Lagune, in die Freiheit werfen. Viele Seufzer sollen dabei zu hören gewesen sein. 

Auch Paulus kann vom Seufzen ein Lied singen oder besser schreiben – im Brief an die Römer:

Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit – ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat –, doch auf Hoffnung; denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick seufzt und in Wehen liegt.

Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes. Denn wir sind gerettet auf Hoffnung hin. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht? Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld. Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt, sondern der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen. 

„Seufz!“ steht in der Sprechblase im Comic immer, wenn Donald Duck das Schicksal gerade übel mitgespielt hat. Wenn der ewige Pechvogel zum wiederholten Male seinen Job verloren hat, wenn sein Onkel, der reiche Dagobert Duck unerbittlich seine Schulden bei ihm eintreiben will, wenn seine drei Neffen ihm hinterrücks einen Streich gespielt haben oder sein Vetter der glückliche Gustav Gans die Gunst der gemeinsamen Angebeteten Daisy gewonnen hat. 

„Seufz!“ Das könnte auch in der Sprechblase des Paulus stehen. Gefängnis hat er hinter sich und die Verfolgung vor Augen. Aus Rom haben ihn Nachrichten erreicht, dass immer mehr Gemeindemitglieder einfach verschwinden in Verhörräumen und Folterzellen. Dabei scheint das römische Reich doch so zivilisiert und fortschrittlich. Scheint so. Ähnlich ist es ja heute mit China. Das Imperium schlägt zurück. Und wer von der Freiheit des Glaubens kosten will, muss das im Geheimen tun, will er nicht als Staatsfeind verfolgt werden. 

„Seufz!“ steht in der Sprechblase des Paulus und derer an die er schreibt. Eine Seufzergemeinschaft. Da können wir uns auch einreihen in unserer Zeit, einstimmen in diesen Laut. 

Angesichts des Massenmords an einer Grundschule in Texas mit 21 Opfern und einer Waffenlobby, die zwei Tage später ihre Jahrestagung im selben Bundestaat abhält, wo ein Ex-Präsident auftritt und fordert, es müsse nicht weniger Schusswaffen geben, sondern viel mehr, auch an Schulen… 

„Boah!“

Angesichts der nicht enden wollenden Kriegsgreuel in der Ostukraine, völlig verwüsteter Städte und Menschen, die in Angst in Kellern und Metro-Stationen ausharren …

„Uff!“

Angesichts aller Symptome der Klima-Katastrophe,  Tornados, Waldbränden und Überschwemmungen. Auch unsere Erde seufzt, ja sie ächzt unter uns Menschen.

„Puh!“

Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick seufzt und in Wehen liegt schreibt Paulus. 

Und dann ist da noch alles, was uns im persönlichen Lebens manchen Stoßseufzer entringt – die Trauer über den Verlust eines liebsten Menschen, das bange Warten auf den Ausgang der Operation, die Sorge, dass beim Stellenabbau im Betrieb auch der eigene Job dran ist. Unter jedem Dach ein Ach …ja das stimmt.

„Seufz!“ steht in der Sprechblase. Dabei ist ein Seufzer ja kein Wort, gebildet im Sprachzentrum des Gehirns, sondern ein Laut, ganz unwillkürlich entfährt er der Brust, kommt tief aus dem Herzen … Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Seufzen bei uns Menschen der Seelenhygiene dient, es hat eine reinigende Funktion, außerdem ist es überlebenswichtig. Durch den tiefen Atemzug werden abgelegene Lungenbereiche belüftet, die bei der normalen Atmung nicht mit Sauerstoff versorgt werden. Deshalb seufzen wir auch jeden Tag ganz oft, meist merken wir das gar nicht. 

Seufzen hat mit Atem zu tun – das weiß auch Paulus. Mit dem Atem Gottes nämlich, sein Geist. Immer dann wenn uns etwas die Sprache verschlägt, wir keine Worte finden, dann ist der Seufzer unser Gebet, dann strömt Gottes Geist in unserem Atem. Dann seufzt, stöhnt, bangt, hofft er mit uns. Weiß er doch sowieso, wovon unser Herz voll ist. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt, sondern der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen. 

„Seufz!“ steht in der Sprechblase und ganz oft kommt es auch in den Liedern des Gesangbuches vor. „Seufz“ steht da natürlich nicht, das lässt sich auch schlecht singen, aber die Seufzer werden anders lautgemalt. Sieben Lieder beginnen mit dem Ausruf „Ach“. „Ach bleib mit deiner Gnade …“, „Ach Gott und Herr wie groß und schwer …“. Am schönsten seufzt es sich eben beim Singen. Und einer, der das meisterlich beherrscht ist Johann-Sebastian Bach. In seiner Motette „Der Geist hilft unserer Schwachheit auf“ hat er die Worte des Paulus vertont. Eine Auftragskomposition für die Trauerfeier des Rektors der Leipziger Thomasschule Ernesti. Mit ungeheurem Schwung wird hier von zwei 4-stimmigen Chören der Gottesgeist in die Ohren und verzagten Herzen gesungen, ungewohnt für eine Trauermusik. Der Geist, der in uns seufzt, wird zum Tänzer, hilft auf, bewegt, bringt am Boden Liegende vom Tod ins Leben, hebt alles Seufzen, Stammeln, Schweigen zu Gott empor. Hoffnung – das Wort kommt von hoppen, hüpfen, tanzen – kann das ein Zufall sein?

„Seufz!“ steht in der Sprechblase im Comic über Donald Duck, der nach glücklich überstandenem Abenteuer seine Daisy in die Arme schließt. Ein Laut der Erleichterung, gelöstes Seufzen – das gibt es ja auch Gott sei Dank auch, bei Enten und bei Menschen, kommt ebenso aus der Tiefe des Herzens, aber viel wohliger, denn etwas ist überstanden, am Ziel, fügt sich wunderbar zuletzt. „Seufz! Hach! Puh!“ Paulus vergleicht, die Situation der Welt mit einer Frau, die in den Wehen liegt. Nach den Seufzern der Anstrengung und der Schmerzen, folgt irgendwann das gelöste Seufzen, wenn das Kind da ist, wenn die Hoffnung zur Welt gekommen ist. Ob mit bangendem oder gelöstem Unterton – Seufzen ist auch eine Form der Kommunikation, sagen die Wissenschaftler. Wer jemanden seufzen hört, kann fast nicht anders als einzustimmen, mitzuleiden oder sich mitzufreuen. Und so ist die Kirche und jede Gemeinde eine Seufzergemeinschaft, aber auf Hoffnung. Hoffnung, die bewegt und in Bewegung setzt.  

Venedig ist die Stadt der Brücken – 400 gibt es davon. Die berühmteste ist bestimmt die Seufzerbrücke. Mehr als 400 Verbindungen gibt es zu Gott und jedes Gebet ist eine Brücke zu ihm. Die kürzeste ist gewiss ein Seufzer. Ob vor Schmerz oder vor Freude, wem das Herz voll ist, dem entfährt dieser besondere Ton, als atme ein anderer in uns. Gerade dann wenn uns die Worte ausgehen, der Seufzer ist zur Stelle. Genau die richtige Art, Gott in den Ohren zu liegen, sagt Paulus. Dieses Gebet beherrscht jeder. Seufzerbrücke – der Seufzer als Brücke. Doch anders als in Venedig – diese Brücke führt in die Freiheit. Die herrliche Freiheit der Kinder Gottes.

Amen.

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